German translation from DIE STÖRENFRIEDAS.
Am Montag, dem 1. Juni um halb fünf großbritannischer Zeit, haben wir die große Enthüllung von Bruce Jenner auf dem Cover der Vanity Fair erlebt, als die ihre neue Ausgabe mit dem früheren Leichtathleten und Reality-Promi, den wir bis dato als Bruce kannten, veröffentlichte, versehen mit der einprägsamen Schlagzeile „Nennt mich Caitlyn“. Jenner wurde perfekt gestylt in Pose gesetzt durch die professionelle Aufnahme von Annie Leibovitz und liebevoll nachbearbeitet. Das Magazin versprach eine 22-seitige Titelstory, verfasst von Buzz Bessinger, die auch Details zu Jenners Unsicherheit nach 10 Stunden in der Gesichtschirurgie und der Reaktion von Jenners Kindern nach der Brustvergrößerung ihres Vaters beinhaltet. Es gibt sogar eine Videodokumentation über das „emotionale, zweitägige Fotoshooting“.
Das Bild selbst ist meisterhaft. Der erste Eindruck betont durch die neutrale Farbgebung die schiere Menge von Haut in der Dastellung; Jenner wird in einem eleganten Korsett gezeigt, an einer Lehne stehend, die Hände auf dem Rücken und einem niedlichen und verschämten unterwürfigen Blick; bei was haben wir die unartige Caitlyn denn erwischt? Die Pose soll das Auge auf die Reise führen Jenner`s Körper zu erkunden und die fantastische Figur der 65-Jährigen zu bewundern. Das ist das neue Bild dieses unglaublich reichen und erfolgreichen Reality-Superstars, die Republikaner wählt, welches mit den Millionen von Dollar, die sie in den letzten viereinhalb Jahrzehnten verdient hat, gefertigt wurde.
Was hat das alles zu bedeuten?
Lasst uns keinen Fehler machen, Jenners Geschichte ist außergewöhnlich; ein Leben harter Arbeit, der Hingabe und der Nutzung jeder Möglichkeit für Selbstverwirklichung und Ruhm hat auf jeden Fall bedeutet, dass Jenner erst Mitte 70 werden musste, um der Welt zu erzählen „wer ich wirklich bin“. Bis zu diesem Punkt gab es jahrelange Spekulationen, Gesichtsoperationen (und wahrscheinlich auch Haartransplantationen), sowie eine Brustvergrößerung. (Es ist interessant zu erwähnen, dass Jenner offenbar noch keine genitale Geschlechtsanpassung hat vornehmen lassen. Innerhalb dieses Kontextes, wie sollen wir Jenners Vorschlag, dass dies „mein echtes Ich ist“, dass dies die Person ist, die Jenner immer gewesen ist, betrachten?
„Coming Out“-Geschichten von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden von KolumnistInnen beklatscht, sie verlautbaren die neue Transitionerin sei „immer eine Frau gewesen“, dies passierte letztes Jahr mit Kellie Maloney und es passiert jetzt mit Caitlyn Jenner. Insgesamt kommen Jenner und Maloney auf fünf Ehen und die Zeugung von acht Kindern. Beide haben als Männer richtig viel Geld verdient und mehr als sechs Jahrzehnte männliche Privilegien genossen, bevor sie kühn ihre Fraulichkeit verkündeten. Wenn jede dieser Transfrauen „immer schon eine Frau gewesen ist“, wie passt das mit den gelebten Leben und den Erfahrungen der 52% der Bevölkerung, die als Frau geboren und großgezogen wurden, zusammen?
In einem Interview mit Diane Sawyer auf 20/20 hat Jenner für sich beansprucht, ein „weibliches Gehirn“ zu haben. Die Existenz von total verschiedenen männlichen und weiblichen Gehirnen ist kaum eine bewiesene Tatsache und es gibt auch keinen anerkannten Beweis für neurologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die beispielsweise die Vorliebe für pink oder das Tragen von Kleidern oder Makeup erklären würde. Dabei handelt es sich natürlich um kulturelle Artefakte, die außerhalb ihres Kontextes bedeutungslos sind. In der Gesellschaft gibt es eine Reihe von Regeln, die bestimmen, was für Männer und Frauen akzeptabel ist, und dies wird als „gender“ bezeichnet. Gender ist nichts das wir „haben“, sondern vielmehr eine Zusammenstellung von Verhaltensweisen, von denen erwartet wird, dass wir sie auf der Grundlage unseres biologischen Geschlechts befolgen sollen. Genau jene Regeln tauchen hier bei Jenners offenkundiger Veränderung vom starken männlichen Vorbild zur schüchternen, ehrerbietigen Verführerin, die wir in der Vanity Fair sehen, auf. Gender ist keine bürgerliche Freiheit, sondern ein Katalog von sozialen Codes, und genau das ist es was Gender tut; Gender entmachtet Frauen. Jenner ist kein „Gender-Außenseiter“, der Grenzen sprengt und Mechanismen für eine positive Veränderung in Gang setzt. Jenner repräsentiert den Status Quo, ganz im Gegensatz zu den positiven, progressiven Kräften und Veränderungen, für die jahrzehntelange Frauenwahlrecht-Kampagnen und Frauen-Aktivismus gekämpft haben.
Statt als „Mann, der eine Frau wird“ (in sich eine kontroverse und kontrafaktische Aussage) können wir das Bild auch betrachten als „Mann, der die männliche Vorstellung, wie eine Frau sein sollte wird“. Das ist groß über das Vanity Fair Titelbild geschrieben: ein idealisierter Körper wird nur in Unterwäsche gekleidet präsentiert, ein perfektes Make-Up tragend und jede Falte ist magischerweise weggephotoshopped. Der „male gaze“ wird bedient, die Körpersprache ist schamhaft, verführerisch, unterwürfig. Das ist nicht Befreiung, das ist nicht Revolution, das ist nicht lebensbejahend; das ist die krasse Stereotypisierung dessen, was es bedeutet, eine Frau zu sein und trifft jedes reaktionäre, kulturell konservative Ideal dessen, wie eine Frau sein sollte; passiv, objektifiziert, entmenschlicht. Können wir wirklich sagen, dass das eine Person ist, die mit sich selbst ins Reine gekommen ist, mit dem was sie ist, wenn sie so viel chirurgische Eingriffe braucht um dies zu erreichen? Ist die Summe dessen, was dieses Bild ausstrahlt, repräsentativ dafür, was es bedeutet, eine Frau zu sein?
Obwohl wir bereits das Jahr 2015 schreiben, leben wir immer noch in einer Gesellschaft, in der Frauen gerade einmal 75% von dem verdienen, was ihre männlichen Kollegen verdienen, die Welt der Frauen ist eine Welt mit ständig verschlossenen Türen, nicht verschlossen aus Gründen von Fähigkeiten, Eignungen oder Mangel an harter Arbeit. Von Frauen wird nach wie vor erwartet, dass sie Männern den Vortritt lassen, die wiederum darauf konditioniert sind zu glauben, dass Frauen dafür existieren, ihnen ihr Leben angenehmer zu machen. Die Entmenschlichung von Frauen wird ritualisiert im Porno, in Stripclubs oder der „Sexarbeit“. Dass all dies existiert, ist mitnichten eine Art von ausgefallener, irre empowernden Bewegung, die dem Leben von Frauen mehr Bedeutung, Befreiung und Wohlbefinden verleiht, sondern diese Werkzeuge werden im Gegenteil von der männlichen Überlegenheit eingesetzt, um Frauen arm, bedürftig und an ihrem Platz zu halten. Warum haben wir dann dieses Bild, welches alle sexistischen Vorstellungen davon, was es bedeutet, eine Frau zu sein, fetischisiert? Ist es das, was es bedeutet, Caitlyn zu sein? Wo ist das starke, erfolgreiche Vorbild, welches Jenner sicherlich einmal war?
In der Transgender Bewegung wird viel über Befreiung gesprochen, wie diese erreicht werden soll durch Entmenschlichung und Objektifizierung erschließt sich mir nicht. In einer Zeit, in der Frauen darum kämpfen, ernst genommen zu werden und als menschliche Wesen und nicht als Sexobjekte betrachtet zu werden, erscheint Jenner anachronistisch, als ein Relikt vergangener Zeiten. Ich stelle ernsthaft den Wert von Jenner als Vorbild in Frage, in Bezug auf die Bedeutung und Methoden der Transition die, wie Jenners Leben, Lichtjahre entfernt sind von den Ressourcen der allermeisten menschlichen Wesen. Die Aufrichtigkeit dieser ganzen inszenierten Affäre schwindet bei Betrachtung von Jenners politischer Loyalität, vermutlich spielte die Gleichstellung von homosexuellen Menschen keine allzu große Rolle bei Jenners Wahlentscheidung. Lasst uns auch nicht vergessen, dass Jenner wegen eines Tötungsdeliktes angeklagt ist, nach einem schweren Autounfall im Februar diesen Jahren, bei dem eine Frau, Kim Howe, starb.
Es gibt viele Möglichkeiten für Transmenschen, glückliche und erfüllende Leben zu leben und positiv in die Gesellschaft zu wirken. Wir brauchen keine sexistischen Konzepte von „weiblichen Gehirnen“, um geliebt und akzeptiert zu werden, und wir müssen auch nicht konform gehen mit zerstörerischen Stereotypen. Wir müssen auch nicht den male gaze bedienen, um Bestätigung darüber zu erhalten, wer und was wir sind. Ein Kampf, den wir mit Frauen teilen, ist das Bedürfnis ernst genommen zu werden und als menschliche Wesen anerkannt zu werden, nicht als Neuheiten, die zur Unterhaltung anderer existieren. Selbstakzeptanz erlangen wir nicht durch chirurgische Messer oder Hypersexualisierung, sondern, in dem wir unseren Frieden damit machen wer und was wir sind. Als Menschen können wir nach vorne schauen und uns den Aufgaben stellen, die das Leben für uns bereit hält, wir können wir selbst sein, glücklich und erfolgreich. Wir brauchen nicht Caitlyn Jenner, die uns dies ermöglicht.